An(ge)dacht

Abtei Liesborn

Liebe Gemeindemitglieder und Gäste!

Mit unserer Wallfahrtsgilde habe ich vor einiger Zeit die Abtei Liesborn besucht. Waren die romanische Turmkapelle und die gotische Hallenkirche mit ihrer reichhaltigen Ausstattung schon ein Erlebnis, so war die Ausstellung des berühmten ‚Liesborner Evangeliars‘, das sich im angrenzenden Abtei-Museum befindet, für mich noch beeindruckender.

 

Von der Liesborner Äbtissin Berthildis in Auftrag gegeben, entstand dieses Buch um das Jahr 980 und ist bis heute gut erhalten. Es enthält die vier Evangelien, das Glaubensbekenntnis sowie eine Art Inhaltsverzeichnis. Der Einband mit der  Kreuzigungsszene und den Evangelistensymbolen stammt aus dem 15. Jahrhundert.

 

Mit starker finanzieller Hilfe von Sponsoren, Kunst- und Kulturstiftungen sowie staatlicher und kirchlicher Stellen konnte das Evangeliar 2017 erworben und nun für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

 

Das Alter und der gute Erhaltungszustand, das handwerkliche Können und die Kunst des Schreibens und Gestaltens, die lokale und weltweite Geschichte des Buches selbst und seine gleichsam sakrale Präsentation - all‘ das ist schon äußerst beeindruckend.

 

In mir hat diese Ausstellung aber auch eine Fülle an Gedanken und Assoziationen freigesetzt: Als ich an den Diakon dachte, der mit zwei Unbekannten dieses Evangeliar mit der Hand mühsam aufgeschrieben hat, fragte ich mich, welchen Wert und welche Bedeutung das Wort Gottes für mich ganz persönlich hat. Der Weg dieses Buches durch die halbe Welt hat mich an Länder denken lassen, in die bis heute die Bibel eingeschmuggelt werden muss. Einige Texte erinnerten mich an biblische Worte, die mich berührt oder auch zuinnerst getroffen haben. Mir kamen Worte von Menschen in den Sinn, die mich ermutigt und gestärkt haben, auch solche, die verletzend waren.

 

Mitten in einer von verschiedensten Medien und Kommunikationsmitteln durchprägten Gesellschaft, in der mir tagtäglich hunderte Bilder und Worte in Augen und Ohren dringen, betrachte ich in aller Stille das Liesborner Evangeliar in einem Panzerglasschrank - als gelte es, ein überaus wichtiges Wort in einem Meer so vieler oft unbedeutender Wörter zu bewahren …

 

Mit diesen Assoziationen grüßt Sie

Propst Michael Langenfeld

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