An(ge)dacht

(An-)gedacht

Fühlen sie sich stigmatisiert? Sind ihre Urlaubspläne durchkreuzt? Ist der Autolack verkratzt, weil das Kennzeichen mit GT oder WAF anfängt? Das wäre sehr ärgerlich und gemein.

Das Wort Stigma kommt aus dem Altgriechischen (στίγμα). Die profane Wortbedeutung lautet „der Stich“. So war es beispielsweise in der Antike üblich den Körper eines entflohenen Sklaven oder Kriegsgefangenen durch Stiche oder durch Brenneisen zu markieren. Das war sicherlich extrem schmerzhaft und möglicherweise auch in der Folge tödlich. Die so zugefügten Malzeichen waren eine Körperstrafe und zeigten dann das Besitzverhältnis für immer an.

Nein, so geschädigt und gestraft fühl ich mich sicherlich nicht. Kein Vergleich – nicht mal ansatzweise. Ich denke da eher, wenn das überhaupt so übertragbar ist, an die vielen Fließbandarbeiter_innen im Gütersloher Lebensmittelkonzern, die sich nun dank schlechter Hygiene- und Arbeitsbedingungen am Coronavirus angesteckt haben. Deren Verbleib und Ausgang ist ungewiss.

Ein antikes Stigma konnte aber auch die Zugehörigkeit zu einer Sippe- oder einen Stamm anzeigen. Die heute gängigen Tätowierungen oft in Form von tribals haben dort ihren Ursprung. Ja, vielleicht werden die Autokennzeichen GT und WAF sowie die Wohnortadresse in den beiden Landkreisen momentan zu solchen Stigmata bei der Urlaubsplanung. Körperliche Schmerzen sind damit aber nicht verbunden – höchstens innerfamiliärer Ärger und Frust.  

Im Christentum sprechen wir von Stigmatisation, wenn aus einer besonderen religiösen Haltung heraus unterschiedlich auftretende Wunden als Wundmale Christi gedeutet werden. So spricht beispielsweise der Apostel Paulus davon, dass er die „Malzeichen Jesu“ trage (Gal 6,17). Paulus spielt hier wohl auf seine Peinigung in Gefangenschaft und unter Folter für den christlichen Glauben an. Der erste, der aufgrund seiner Stigmatisation heiliggesprochen wurde, war Franz von Assisi (1181-1226). Seine Stigmata galten als Hinweis auf das Mitleiden des Franziskus mit dem gekreuzigten Christus.

Übertragen auf die aktuelle Tageslage würde Stigmatisation für mich ein starkes Mitgefühl für diejenigen bedeuten, die sich in Gütersloh an Corona angesteckt haben. Solidarität wäre eine mögliche Folge.

In späteren Jahrhunderten war die katholische Kirche wesentlich skeptischer, was Stigmata anbetraf. Schließlich gab es auch Fälle von angemaßter Heiligkeit, die auf Vortäuschen von Stigmata und Selbststilisierung beruhten. Dagegen half nur katholische Aufklärung. Das passt auch heute ganz gut, denn gegen ungerechtfertigte Beschuldigungen oder bei angemaßter bzw. vorgetäuschter Heiligkeit gibt es nur ein Mittel, nämlich Aufklärung.

Halten sie sich also an Hygienemaßnahmen, lassen sie sich im Zweifelsfall testen, nutzen sie die Corona-App. Bleiben sie gesund, munter und aufgeklärt katholisch. Das wünscht ihnen David Krebes, Pastoralreferent in St. Marien Telgte

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