An(ge)dacht

An(ge)dacht

Liebe Gemeindemitglieder,
liebe Pilgerinnen und Pilger,
liebe Leserinnen und Leser!

 

Gemeinsam machen sich Menschen zu einem heiligen Ort oder einem gemeinsamen Fest auf, beschreiten genau festgelegte Wege, beten und singen nach bestimmten Regeln und vollziehen feste religiöse Rituale. In fast allen Religionen dieser Erde gehört das Wallfahren fest zum geistlichen Leben  dazu.
Auch Jesus ist wie jeder fromme Jude mit seiner Familie zum Tempel nach Jerusalem gezogen, hat sich eingereiht in die religiöse Tradition seines Volkes Israel.
Für uns Katholiken ist das Wallfahren ebenfalls ein fester Begriff. Noch bis vor einigen Jahren schloss die Erstkommunion in den allermeisten Kirchengemeinden mit einer Wallfahrt der Kinder ab. Nach Telgte kommen nicht wenige Wallfahrten, die seit mehr als 300 Jahren ununterbrochen zu Fuß zum Gnadenbild ziehen.

 

Mit der Eröffnung des Jakobusweges, den wir am Freitag mit vielen hundert Leuten gefeiert haben, werden sich die Akzente für uns Telgter etwas verschieben, so vermute ich.
Denn neben den oben erwähnten kirchlich geprägten und nach festen Ritualen voll-zogenen Wallfahrten wird sich eine etwas andere Art zeigen, wie Menschen auf einem inneren wie äußeren Weg unterwegs sind: Nicht mehr nur in großen Gemeinschaften,  sondern als einzelne oder in eher kleinen Gruppen werden Pilger zu uns kommen. Auch sie haben durchaus ein konkretes Ziel vor Augen, gehen allerdings ihren Weg oft ohne die festen Regeln, die das traditionelle Wallfahren kennt.
Pilger, die eher zufällig andere Pilger treffen, vielleicht mit ihnen ein Stück des Weges gemeinsam gehen, sich dann wieder allein auf den Weg machen. Pilger, denen der Austausch mit anderen wichtig ist. Pilger, die beten. Aber auch Pilger, die vielleicht nicht beten. Pilger, die nachdenken. Pilger, die ihre innere Freiheit wiedererlangen. Pilger, die alles aufsaugen - Worte, Gedanken, Begegnungen, Natur … Kurz: Pilger, die suchen.
Wahrscheinlich entspricht diese Art des Pilgerns eher dem modernen Menschen, der sich kirchlich weniger gebunden fühlt und auch in seinem sonstigen Umfeld feste Verpflichtungen oft meidet, weil er gerade den vielen Erwartungen, die an ihn gerichtet sind, und dem beruflichen oder familiären Druck zu entkommen sucht. Der Mensch, der allerdings spürt - und darin hat sich anscheinend seit Jahrtausenden nichts geändert -, dass er sich innerlich wie äußerlich auf den Weg machen muss, um sich mit den Grundfragen seines Lebens in Ruhe auseinander zu setzen. Der Mensch, der nicht mehr die Sicherheit familiärer, kirchlicher und gesellschaftlicher Traditionen hat,  die ihn von Innen her prägen, der sich in unserer offenen Gesellschaft mehr als früher einen tragfähigen Lebenssinn selbst innerlich erkämpfen oder eben ‚erpilgern‘ muss.

 

Diesen Pilgern werden wir nun wohl häufiger begegnen, werden ihnen Gastgeber sein dürfen, werden mit ihnen ins Gespräch kommen. Sie suchen ihre Antworten auf den Jahrhunderte alten Wegen, die von der Lebens-, Leidens- und Glaubenserfahrung so vieler Menschen vor ihnen Zeugnis geben.
Unsere Aufgabe wird es werden, einfach nur gastfreundlich zu sein, ganz unauf-dringlich von unserem eigenen Lebenssinn, unserem christlichen Glauben und unserer Hoffnung Zeugnis zu geben und, wenn gewünscht, ihnen unsere Wegbegleitung anzubieten.

 

So wünsche ich unseren traditionellen Wallfahrern und den Pilgern auf dem Jakobus-weg einen „buen camino“ (einen guten Weg), uns Gastgebern am Ziel und am Rande  dieses Weges rufe ich das biblische Wort zu: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ (Hebr 13, 2).

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