An(ge)dacht
Augenblick mal
Liebe Leserin, lieber Leser,
Ende Oktober durfte ich mit einer Pilgergruppe im Heiligen Land wandernd unterwegs sein und bin noch voller Eindrücke. Ein wunderbares und gastfreundliches Land. Reich an Sonne und Natur. Kilometerlange Strände, Bergland, Wüste mit üppigen Oasen und fruchtbare Ebenen.
In diesem Land hat Jesus gelebt. Auf Schritt und Tritt werden hier die biblischen Geschichten, Erzählungen, Gebete, Psalmen und Texte lebendig, anschaulich. Wir haben sie da gehört, wo sie damals passiert sind. Wir haben auch auf dem Berg gestanden, auf dem Jesus seine Bergpredigt gehalten hat. Als besinnlichen Text hatte ich für unsere Gruppe diesen Gedanken zu einer meiner biblischen Lieblingsstellen des Exegeten Jürgen Ebach vorbereitet:
„Gott »lässt nämlich seine Sonne aufgeben über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte«, so steht es in Matthäus 5,45 in der Bergpredigt. In einer späten rabbinischen Überlieferung heißt es ganz entsprechend: »Rabbi Jehoschua der Priester sagte im Namen Rabbi Nechemjas: >Hast du je in deinem Leben gesehen, dass der Regen auf das Feld des und des Frommen niederging, aber nicht auf das Feld des und des Gewalttäters? Vielmehr: Die Sonne geht auf über Israel als Gerechten und über den Gewalttätigen. Der Ewige lässt die Sonne aufgehen über Israel und den Völkern.«
Gott lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Die Weisheit, die aus dieser Stelle im Matthäusevangelium spricht, erscheint mir lebensförderlich, schon darum, weil keineswegs ausgemacht ist, dass ich zu den Gerechten gehöre. Dass ich keineswegs immer zu den Gerechten gehöre, ist allerdings ausgemacht. Im engeren Kontext des Themas »Feindesliebe«, in dem der Vers steht, kann er zudem darauf aufmerksam machen, dass, wer einen Feind hat, auch selbst ein Feind ist. Ein schöner Satz also, einer zudem, der nicht die Welt, das Leben und auch noch die – neuzeitlich gesagt — Natur moralistisch beurteilt. Die universale Geltung dieses Satzes aus der Bergpredigt scheint unüberbietbar.
Allerdings wäre eine Perspektive, welche die gesamte Menschheit einbezieht, noch keine wirklich universale. Denn sie bliebe noch immer in der Gefahr, Welt, Leben und Natur auf die Interessen des Menschen einzuengen. Darum empfiehlt es sich, zur Ergänzung des Satzes aus der Bergpredigt eine Frage Gottes aus dem Hiobbuch (38,26) mit zu lesen, welche Hiob darauf aufmerksam macht: Es regnet auch da, wo gar keine Menschen leben.“
Arnold Michels, Pastoralreferent