An(ge)dacht

Er verschafft deinen Grenzen Frieden (Psalm 147,14)

Er verschafft deinen Grenzen Frieden (Psalm 147,14)

Mich mit meinen Grenzen befrieden? Befrieden lassen? Von Gott?

Grenzen haben etwas zutiefst Ambivalentes: Sie können eine scharfe Kante sein, an der es Reibung gibt, eine Gefahrenzone, wo es zur Gewalt kommen kann, eine Trennlinie, wo mir Einhalt geboten wird, ich nicht weiter darf oder kann. Grenze kann aber auch reizvolle Übergangszone sein, Schwelle ins Neue, Unbekannte, Fremde, in die Weite. Grenzen schützen uns und mich. Und Grenzen geben Kontur, Profil. Limitierte Auflagen haben einen besonderen Wert.

 

Ins Individuelle gewendet: Viel wird momentan geschimpft über den „Zwang zur Selbtsoptimierung“ – teils natürlich zurecht. Aber in mir steckt auch eine Sehnsucht nach Optimierung. Ich will an Grenzen nicht schnell klein beigeben, ich möchte sie dehnen, weiten, überschreiten, möchte wachsen, reifen, menschlich, intellektuell, geistlich. Ich will nicht vorschnell stehen bleiben, mich ausbremsen lassen. „Wer nicht wächst, der schrumpft ein“ meint Teresa von Ávila. Und muss nicht jeweils das Mögliche versucht werden? Ist der biblische Gott nicht einer, mit dem wir Mauern überspringen (Psalm 18,30) – so dass wir sehr begründet singen: „Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, wandle sie in Weite, Herr erbarme dich“?

 

Dennoch, immer wieder bin ich am Limit. Mit meinen Energieressourcen, meiner Zeit, meinen Nerven, meiner Fähigkeit, aufmerksam zu sein, meiner Geduld … Daran reibe ich mich. Hier und da muss ich mich abgrenzen, gegenüber den Erwartungen oder Anfragen anderer – und wie schwer fällt dieses Neinsagen. Manchmal kann ich nicht aus meiner Haut heraus: Ich bin eben ich, mit meiner Lebensgeschichte, meinen Prägungen und Verwundungen. In manche Denk, Fühl- und Verhaltensmuster falle ich immer wieder zurück – trotz allem Mühen zu wachsen. Zu manchen Grenzen habe ich selber Ja gesagt (als Priester), erlebe sie häufig als Kräfte bündelnd und Leben ermöglichend, und leide doch zeitweise an ihnen. Wie gerne würde ich mitunter anderes auskosten, kennen lernen – und weiß doch nüchtern, dass das alles in ein durchschnittliches Leben niemals hineinpassen würde. All diese Grenzen wollen ausgehalten werden.

 

In Psalm 147, einem Doppelhymnus, wird JHWH als Erbauer bzw. Wiedererbauer der Stadt Jerusalem besungen. Der zweite Hymnus (V. 12-20) fordert Jerusalem zum Lob auf, weil Gott den inneren und äußeren Frieden der Stadt schützt und verteidigt. In diesem Zusammenhang heißt es: Er verschafft Deinen Grenzen Frieden (V. 14). Jerusalem hat als Zentrum des kleinen Israel immer wieder massive Grenzkonflikte erlitten; Stadt und Land mussten sich oft gegen Grenzverletzungen wehren. Grenzen waren für die heilige Stadt und das heilige Land Orte von Reibungsverlusten. Was für eine Hoffnung, dass Gott hier endlich Frieden schafft, Versöhnung. Ein Auftatmen!

 

Ob dieser Gott auch mir Frieden schafft, wenn ich mich an Grenzen aufreibe? Es ermöglicht, mich an den Grenzen nicht einfach resignativ zu ergeben, sondern mich zu versöhnen? Ob er mir Mut zu meiner Endlichkeit gibt, meiner Begrenztheit? Bei Matthias Drobinskis lese ich: Gnade ist die „Unvollständigkeitszusage Gottes an den Menschen: Du musst nicht werden wie Gott.“ Das lässt auch mich an meinen Grenzen aufatmen.

 

Dr.Michael Höffner, Lehrbeauftragter für Spiritualität an der PTH Münster und seit 2001 verantwortlich für die Kraftfahrerkapelle St.Christophorus in Raestrup

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