An(ge)dacht

Familie hintenanstellen??

Ein provozierendes Evangelium hören wir heute an diesem Sonntag,
so empfinde ich es. Wir sollen Vater und Mutter, Sohn und Tochter, ja, unsere Familie hintenanstellen. Und: wenn wir sie mehr lieben als Jesus, sind wir seiner „nicht wert“ heißt es da. Können wir diese Forderung einhalten? Können wir Jesus, der für uns unsichtbar ist, den wir in der Regel nicht spüren, sehen oder hören können, wirklich noch vor unsere liebsten Menschen an die erste Stelle setzen? Das ist schon eine große Herausforderung und nicht für jeden,
so scheint es auf den ersten Blick, so ohne weiteres zu erfüllen.
Vielleicht denken Sie: das ist nur etwas für diejenigen, die sich zum Priestertum berufen fühlen oder für Menschen, die in einen Orden eintreten wollen. Diejenigen wissen zumindest, dass ihr Weg in die Nachfolge Jesu mit dem Weggehen aus der Familie, der Berufung ins Priestertum oder in eine Ordensgemeinschaft, auch mit dem Verzicht auf eine Familie verbunden ist und dass der Kontakt zur Familie und Freunden zumindest zeitweise weniger werden wird und der Beruf als Priester oder als Ordensmensch erst einmal an erster Stelle steht.
Ich habe von meiner Tante, die auch Franziskanerin war, und auch von meinen Mitschwestern oft gehört, dass sie vor über 50, 60 und mehr Ordensjahren mit dem Gedanken eingetreten sind, dass Sie nie mehr in ihrem Leben nach Hause durften. Das war sehr hart. Später wurden diese Regeln etwas gelockert und diese Schwestern durften, wenn die Mutter oder der Vater krank waren, nach Hause, später wurden diese Bestimmungen noch weiter gelockert.
Ich habe das bei meinem Ordenseintritt vor über 30 Jahren nicht mehr erlebt. Nach einer ersten Zeit des Einlebens im Kloster gab es in meiner Generation schon regelmäßige Heimatbesuche bei der Familie und auch die Möglichkeit Besuch zu bekommen.  Dafür war und bin ich sehr dankbar.
Ich verstehe dieses Wort Jesus so: ich darf meine Familie, meine Freunde, die Menschen, die mir lieb sind, gernhaben und lieben. Vielleicht ist es wichtig, ab und zu diese Bindungen zu prüfen: stimmen die Beziehungen noch? Haben sie das rechte Maß? Hat auch Jesus einen Platz in meinem Leben? Jesus gönnt mir meine Familie, meine freundschaftlichen Beziehungen. Aber ER möchte auch, dass wir Ihn nicht vergessen und Er einen Platz in unserem Herzen hat.
Mit dem Wunsch, dass wir alle die passende Nähe und Distanz finden zu unseren nahestehenden Menschen und auch zu Jesus grüßt sie

Schwester M. Josefine Büscher OSF

Zurück