An(ge)dacht
Hast du was, bist du was – hast du nichts, bist du nichts?

Dieser Redensart, die auch Eingang in die Popkultur (Bushido) gefunden hat, widerspricht Jesus im Lukasevangelium (Lk 6, 17, 20-26) sehr deutlich, wenn er sagt: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.“ (Lk 6,20) und „Weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen.“ (Lk 6,24)
Jesus spricht hier direkt zu seinen Anhängern, also Menschen in seinem Umfeld in Gegenüberstellung von Seligpreisungen und Weherufen. Und Jesus geht es hier tatsächlich um soziale und ökonomische Armut bzw. Reichtum – nicht etwa um Armut und Reichtum „im Geiste“.
Wie steht es um die Reichen? Sie definieren sich über ihr Hab und Gut. Sie leiten ihren Status oder ihre Würde eher über ihren Kontostand, Besitztümer und Einfluss ab. Hast du was, bist du was. Mit der Sucht nach mehr Besitz, Wachstum und Anhäufung von Gütern können sie sich anscheinend über jede Lebenskrise hinwegtrösten bzw. freikaufen oder auch Abstiegsängste wie „Hast du nichts, bist du nichts“ kaschieren. Es wird ihnen schwer fallen, an ein „Reich Gottes“ zu glauben, das nun mal nicht kapitalisierbar ist.
Jesus spricht in die Gegenwart der Armen. Ihnen gehört bereits jetzt und unmittelbar das Reich Gottes. Das Reich Gottes wird den Armen nicht erst in ferner Zukunft zugesprochen, wenn zum Beispiel alle gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten irgendwann einmal beseitigt worden sind. Jesus legt auch keine zusätzlichen Bedingungen und Auflagen fest im Sinne von „Euch Armen gehört das Reich Gottes, wenn ihr entweder folgendes Beitrittsformular XY ausfüllt oder ein Antrag auf Einreisegenehmigung stellt. Nein, einfach der faktische Umstand „arm“ zu sein erfüllt alles, was es braucht, um am Reich Gottes teilhaben zu können und selig zu sein. Das spricht Jesus ihnen unmittelbar zu. Obwohl sie im Hier und Jetzt eigentlich nichts haben, sind sie nun was. Jesus spricht sie „selig“ und sie erhalten das „Reich Gottes“. Sie haben somit eine von Gott geschenkte Würde im Sinne von „Bist du was, dann hast du was.“ Diese Würde kann dir keiner nehmen.
David Krebes
Pastoralreferent in St. Marien Telgte