An(ge)dacht
Liebe Schwestern und Brüder!
Im Evangelium vom 33. Sonntag hören wir: „Bleibt standhaft und ihr werdet das Leben gewinnen!“ Vor dieser Aussage stehen 14 Verse im Evangelium, in denen uns gesagt wird, für welche Situation dieses Wort Jesu gesprochen ist. Dieses Evangelium ist unter dem Eindruck einer großen Katastrophe, geschrieben worden. Jerusalem, die heilige Stadt, mit ihrem mächtigen Tempel, dem ganzen Stolz Israels war nur noch ein Trümmerhaufen. Zerstört, geplündert, Israel genommen. Eine Situation zum Verzweifeln. In diese Situation hinein ist dieses Wort gesprochen.
Jetzt stellt sich uns die einfache Frage ist, ob wir auch solche Situationen kennen, da Jerusalem uns genommen, alles im Trümmerhaufen liegt, zerstört, geplündert, das Liebste uns genommen ist. Denken wir an unsere Familien. Durch den Verlust eines lieben Menschen, durch die Enttäuschung über den Partner, oder die Kinder, durch Krankheit und manchmal auch durch die Bosheit von Menschen, die uns das bitter ersparte nicht gönnen.
In diese Situationen hinein spricht Jesus das Wort: „bleib treu und du wirst das Leben gewinnen.“ Johann Wolfgang von Goethe, sprach dieses schöne Wort: „Liebe muss zur Treue reifen oder sie vergeht.“ In dieser Treue können wir dann neu das Leben gewinnen. Weil wir nicht im Rückblick auf das Vergangene leben, sondern uns in Gewissheit der Treue Gottes der Gegenwart stellen. Das Vergangene kann uns den Blick verstellen, für das, was hier und jetzt in unserem Leben möglich ist.
So manches irdische Jerusalem muss in Trümmer gelegt werden, damit wir uns neu auf unser wahres Ziel, das himmlische Jerusalem, konzentrieren. Denn die Hoffnung darauf, dass Gott den Seinen eine Wohnung bereitet, ein himmlisches Jerusalem, dass Gott unser Zuhause ist - überall auf dieser Welt - lässt uns jenes Leben gewinnen, das Jesus all denen verheißen hat, die ihm in der Offenheit für die Gegenwart folgen.
Die Zerstörung Jerusalems war für die jungen Christen eine Katastrophe und für die Menschheit ein Segen. Denn durch die Zerstörung Jerusalem wurden die ersten Christen gezwungen, dieses Zuhause aufzugeben und hinaus zu gehen in die Welt mit der Botschaft: Jesus Christus hat uns durch Leiden und Tod einen Platz im Himmel erworben. Er hat in seiner Auferstehung das Tor zum himmlischen Jerusalem geöffnet. Durch das Unheil der Zerstörung Jerusalems wurde in aller Welt das Heil in Jesus Christus bekannt gemacht.
Schwestern und Brüder, Auf Chinesische Sprache, ist das Zeichen für „Krise“ dasselbe Zeichen wie für „Chance“. So manche Katastrophe ist auch eine Chance, das Leben neu zu gewinnen, wenn wir uns ihr stellen und standhaft bleiben. Wir brauchen manchmal diese Erschütterungen, wir brauchen manchmal eine Katastrophe, eine Läuterung, damit wir wieder neu das Leben gewinnen.
Pater Ephrem OSB